Dr. Daniela Liebscher vom schreibzentrum.berlin hat mich für ihren Blog interviewt.

Im Interview ging es um die Frage wie aus einer Doktorarbeit am Ende ein Sachbuch geworden ist.

Sachbuch statt Doktorarbeit als Ausstieg aus der Promotion

Ob wir uns gemeinsam noch einmal die Gliederung anschauen könnten, sie käme da gerade nicht weiter.

Als mir Julia Rau, Coach und Expertin für Hochbegabung aus Köln, ihr Buchprojekt „Hochbegabung bei Erwachsenen“ vorstellte, erzählte sie gleich, dass es ursprünglich eine Doktorarbeit werden sollte. Wir besprachen die Gliederung, und es war eines von diesen kurzen, aber intensiven Gesprächen, in denen sich „der Knoten“ fast hörbar löste. Julia berichtete mir wenig später, dass sie nun das Buch tatsächlich beendet habe. Es erschien Anfang 2019 im Waxmann-Verlag.

Ich wollte aber mehr über Julias ursprüngliches Promotionsprojekt wissen und warum es offenbar anders gekommen ist. Hier ist unser Gespräch:

Daniela: Jetzt ist es keine Dissertation, sondern ein Sachbuch geworden. Das heißt, du hast deine Promotion abgebrochen. Normalerweise wird das ja als „Scheitern“ verstanden. Für mich zeigt aber deine Geschichte sehr schön, dass der Ausstieg aus einer Promotion auch kreative Energie freisetzen kann. Kannst du erzählen, wie es dazu kam?

Julia: Ja, eigentlich wollte ich zu diesem Thema eine Dissertation schreiben bzw. ursprünglich war es noch das Thema Hochbegabung bei Frauen. Denn über Hochbegabung bei Erwachsenen gab es damals kaum Literatur, und ich wollte gerne einen Teil dieser Lücke schließen. Mir war der Rahmen für die Dissertation aber bald zu starr, besonders das methodische Vorgehen. Irgendwann hatte ich dann das Gefühl, dass ich am Ende gar nicht die Arbeit schreiben könnte, die ich ursprünglich mal schreiben wollte.

An sich wollte ich schon gerne promovieren, aber ich wollte eben vor allem etwas für die betreffenden Personen schreiben, was ihnen weiterhilft. So habe ich mich dann entschlossen, das Thema viel allgemeiner zu fassen – also nicht nur über hochbegabte Frauen, sondern über hochbegabte Erwachsene zu schreiben – und es viel praktischer und weniger wissenschaftlich zu gestalten.

Daniela: Du bist selbst hochbegabt und hast deine Promotion abgebrochen. Das verwundert erst einmal alle, die meinen, zum Promovieren müsse man „sehr gut“ sein. Kannst du erklären, warum das eine mit dem anderen vermutlich nicht unbedingt zu tun hat?

Julia: Hochbegabt zu sein heißt nicht, dass man automatisch besonders „gut“ ist, viel weiß oder viel kann. Und auch nicht, dass man eine Promotion problemlos „nebenbei“ macht. Es bedeutet schon, dass man eine hohe Auffassungsgabe hat, sich meist sehr schnell und recht gut in neue oder komplexe Sachverhalte einarbeiten kann. Viele Hochbegabte lieben auch Herausforderungen, sind oft sehr neugierig und vielseitig interessiert, so dass sie sich gerne in neue Themenfelder einarbeiten. Wenn es ihnen dann allerdings ab einem gewissen Punkt zu langweilig wird, hören viele auch wieder damit auf und beschäftigen sich mit anderen Themen. Dies kann durchaus sehr intensiv sein, und sie können sich auch großes Fachwissen aneignen. Zum erfolgreichen Gelingen einer Promotion sind aber noch viele andere Faktoren als intellektuelle Fähigkeiten und Voraussetzungen entscheidend.

Daniela: Wann kam dir der Gedanke, das Material deines Promotionsprojektes am Ende für ein Sachbuch zu nutzen? Wie hat sich die Idee des Sachbuchs konkretisiert?

Julia: Ich wollte etwas Fundiertes über hochbegabte Erwachsene schreiben, weil ich das Gefühl hatte, dass da ein großer Bedarf bestand und mich das Thema sehr beschäftigte. Was war mir wichtiger? Die Promotion und der Dr.-Titel oder das Thema? Und da mir ja eigentlich das Thema sowie der Mehrwert für die Betroffenen wichtiger war bzw. dies der ursprüngliche Gedanke war und ich erst danach beschlossen hatte, hierzu eine Dissertation zu schreiben, war meine Entscheidung, das Thema weiter zu verfolgen. Dass ich dazu ein Buch schreiben wollte, war von Anfang an klar, und so habe ich mich für ein Sachbuch entschieden. Ich habe daraufhin allerdings sehr viel verändert und konnte am Ende doch nicht so viel Material der Promotion verwenden. Es war eben ein neues Projekt geworden, was auch viel Arbeit bedeutet hat.

Daniela: Was war dir besonders wichtig für das Buch? Was wolltest du unbedingt deinen Lesenden mitteilen?

Julia: Mir war wichtig, neue Dinge herauszufinden und nicht das bereits Geschriebene noch mal zusammenzufassen oder so. Ich wollte viele Hochbegabte zu Wort kommen lassen und erfahren, woran sie ihre Hochbegabung im täglichen Leben bemerken und wie sie damit umgehen. Mir war wichtig herauszufinden, wie sich Hochbegabung im beruflichen und privaten Alltag zeigen kann.

Meinen Lesern wollte ich also einerseits mitteilen, woran Hochbegabung erkannt werden kann, aber auch, wie damit umgegangen werden kann und welche Rahmenbedingungen für Hochbegabte besonders vorteilhaft sein können. Viele hochbegabte Personen wissen ja gar nicht, dass sie hochbegabt sind und würden dies auch gar nicht von sich denken. Denn das Bild, das die meisten Menschen von Hochbegabten haben oder das durch Medien transportiert wird, entspricht eher Stereotypen und Klischees als der Wirklichkeit. So müssen viele Hochbegabte erst einmal herausfinden, was es für sie eigentlich bedeutet, hochbegabt zu sein sowie welche Auswirkungen und auch welche Stolpersteine damit verbunden sein können.

Daniela: Wie bist du beim Schreiben vorgegangen?

Julia: Ich habe – neben vorhandener Literatur und den Erfahrungen aus Coachings – als Grundlage für mein Buch eine große Befragung gemacht, an der sich 1.400 Hochbegabte beteiligt haben. Diese zahlreichen und vielfältigen Aussagen habe ich zunächst analysiert und in Themenfelder aufgeteilt. Aus diesen Themen hat sich die Grobstruktur des Buches ergeben. Zunächst habe ich dann das Inhaltsverzeichnis erstellt, das ich jedoch im späteren Verlauf des Schreibens immer mal wieder angepasst habe. Tja, und dann habe ich versucht, die einzelnen Kapitel nach und nach zu schreiben. Im Großen und Ganzen habe ich den Text von Anfang bis Ende geschrieben. Das ist mir je nach Kapitel mal leichter und mal schwerer gefallen. Zwischendurch hatte ich Phasen, wo es nur sehr schleppend voranging. Bevor ich das Buch geschrieben habe, habe ich ehrlich gesagt gedacht, dass das viel schneller geht.

Als der Text fertig war und ich dann später das gedruckte Buch in Händen gehalten habe, war ich aber sehr stolz, dass ich das Buch beendet habe, und freue mich nach wie vor sehr darüber.

Daniela: Planst du, ein weiteres Sachbuch zu verfassen?

Julia: Der Beltz-Verlag, mit dem ich zusammen mit zwei anderen Autorinnen ein Buch geschrieben habe, hat mich gefragt, ob ich über das Thema Hochsensibilität ein Buch schreiben möchte. Allerdings ist es meiner Erfahrung nach sehr (zeit)aufwendig, ein Sachbuch zu schreiben, und ich wollte mich nach den beiden Büchern erstmal anderen Dingen widmen.

Daniela: Was würdest du Promovierenden, die überlegen, ihre Promotion abzubrechen, aus eigener Erfahrung und als Coach mit auf den Weg geben?

Julia: Auf jeden Fall sollte man die Promotion nicht isoliert betrachten. Also man sollte die Lebensumstände und aktuellen Rahmenbedingungen mit bedenken. Vielleicht haben diese sich im Laufe der Zeit geändert. Eventuell hat sich auch die Motivation, eine Dissertation zu schreiben, und das damit verbundene Ziel geändert. So muss überprüft werden, ob die Promotion noch zum eigenen Leben passt. Wir treffen Entscheidungen zu der jeweiligen Zeit ja immer so gut wir können und so wie es eben zu der Zeit passt. Wenn sich etwas ändert, ist es eigentlich ja schlau, darauf zu reagieren und Dinge ggf. zu ändern – auch wenn der Plan ein anderer war. Manchmal sehen wir so etwas dann aber als Niederlage. Da sollten wir zuweilen weniger streng mit uns sein.

Daniela: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei deinen nächsten (Schreib)Projekten!

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