Meine wunderbare Kollegin Alma Drekovic und ich haben zusammen Noks Nauta zu ihrem neuen Buch über hochbegabte Senioren für das MinD Magazin interviewt.

Hochbegabung bei Kindern ist als Thema in der Gesellschaft längst angekommen, und es wurde inzwischen viel zu hochbegabten Kindern geforscht und geschrieben. Während es in den letzten zehn Jahren sogar zur Hochbegabung bei Erwachsenen einen Ratgeber–Boom gibt, dachte bislang kaum jemand an die hochbegabten Senioren.

Noks Nauta und Ine Schouwstra sind die Herausgeberinnen des allerersten Buchs über hochbegabte Senioren. Sieben Autoren mit unterschiedlichen und sich ergänzenden Fachkenntnissen kommen zu Wort. Die Forschung zu hochbegabten Senioren steckt in den Kinderschuhen, in diesem Buch jedoch vermitteln praktische Geschichten ein klares Bild davon, was hochbegabte Senioren erleben können.

Oft werden hochbegabte Senioren als solche nicht erkannt. Infolge dessen können sie Einsamkeit und Langeweile erleben und psychische Erkrankungen entwickeln. Für das Wohlbefinden älterer Menschen und auch ihrer Angehörigen und des Pflegepersonals ist das Wissen über die Eigenschaften und Bedürfnisse hochbegabter Senioren sehr wichtig. Über die Bedeutung der Hochbegabung bei Senioren sprechen wir mit Noks Nauta. Sie ist Mensa-Mitglied und Mitglied der Triple Nine Society, erforscht als Ärztin und Psychologin seit vielen Jahren das Phänomen Hochbegabung bei Erwachsenen und Senioren. Sie hat dazu im Laufe der Jahre zahlreiche Bücher und Artikel veröffentlicht. Im In- und Ausland hält sie Vorträge hierzu und gibt Workshops. Noks Nauta ist zudem Ehrenvorstand und Mitgründerin des Instituts Hochbegabung bei Erwachsenen in den Niederlanden. Die Stiftung möchte die Lebensumstände von hochbegabten Erwachsenen durch Sammlung, Dokumentation und Verbreitung von Wissen über hochbegabte Erwachsene verbessern. Noks Nauta lebt in den Niederlanden.

Da Noks selbst das 70. Lebensjahr überschritten hat, hat sie das Bedürfnis, das Wissen über hochbegabte Senioren stärker zu verbreiten. So hat sie zusammen mit den Autoren Ine Schouwstra, Emmy Boudeling, Gemma Geertshuis, Berit Hooghoudt – van der Veen, Marieke Schuurman – van der Heyden und Ido van der Waal ein Buch über hochbegabte Senioren veröffentlicht. Dies haben wir zum Anlass genommen, Noks zu diesem bislang kaum erforschten und wichtigen Thema zu interviewen.

1.         Weshalb muss man hochbegabten Senioren Aufmerksamkeit schenken?

Hochbegabte Kinder und hochbegabte Erwachsene profitieren davon, wenn sie mehr über sich, ihre Eigenschaften und den Umgang mit ihnen erfahren. Senioren geht es genauso, aber dazu haben wir uns bislang keine Gedanken gemacht. Hochbegabung lässt einen oftmals sich anders fühlen als andere Menschen. Sich anders zu fühlen kann dazu führen, sich sonderbar zu fühlen und ein negatives Selbstbild zu entwickeln.

Im Grunde denken wir, dass Hochbegabung eine Reihe von positiven Merkmalen mit sich bringt. Jedoch ist ein Teil der Hochbegabten nicht so glücklich (und wir wissen nicht welcher Teil dies ist). Und so haben wir viele Geschichten von hochbegabten Senioren und den Menschen um sie herum, die zeigen, dass, wenn sie nichts von ihren Charakteristika wissen, es dazu führen kann, sich nicht gut zu fühlen, zu glauben, dass sie dumm sind, niedergeschlagen sind und keinen positiven Blick mehr auf das Leben haben. Sie sind nicht in der Lage, ihre speziellen Bedürfnisse auszudrücken und wissen nicht wie sie sich eigentlich besser fühlen könnten. Also ist es gesund, sie über ihre Hochbegabung aufzuklären.

2.         Wie drückt sich Hochbegabung bei älteren Menschen aus? Gibt es Unterschiede zu jüngeren Erwachsenen?

Bei hochbegabten Erwachsenen wissen wir, dass Hochbegabung für einige von ihnen eine Herausforderung sein kann, und zwar in allen Lebensbereichen: privat (Beziehungen und Freundschaften), persönlich (mentale Gesundheit und Wohlergehen), im Beruflichen (Kontakte, Verbindungen, einen besonderen Beitrag für die Welt leisten wollen), etc.

Zu späteren Lebensphasen stehen andere Dinge auf dem Spiel. Das gilt für jeden von uns. Das sehen wir sogar mehr bei älteren Hochbegabten, insbesondere, wenn sie von ihrer Hochbegabung nichts wissen. Hochbegabung ist eine Kombination von Charakteristika, wovon hohe Intelligenz eine ist. Hochbegabte Menschen sind in ihrer Wahrnehmung höchst empfindsam, sie fühlen verschiedene Facetten (intensiv und tief), sind autonomer, sind entschlossen auf eine offene und passionierte Art, handeln schöpfend (Delphimodel der Hochbegabung, Kooijman-van Thiel, 2008).

In fortgeschrittenem Alter, wenn sich Hochbegabte nicht selbst kennen, können sich diese Eigenschaften der Hochbegabung auf unharmonische Weise zeigen. Einige Eigenschaften werden übertrieben, andere verschwinden. Einige hochbegabte Senioren zeigen ein schwieriges Verhalten, einige von ihnen sind einsam und ohne Kontakte. Die Herausforderungen scheinen größer, wenn sie Hilfe für ihre körperlichen Beschwerden brauchen und auch dann, wenn sie kognitive Einschränkungen wie Demenz haben. Dies wird in der Altenpflege oft nicht erkannt, und es können unbrauchbare Diagnosen gestellt werden, die eher schaden. Wir erleben, dass sie Diagnosen wie Persönlichkeitsstörung bekommen, eine Diagnose im Autismus-Spektrum, etc. Dies ist nicht hilfreich, um die richtige Behandlung zu finden.

3.         Ab wann gilt jemand als Senior?

Wir betrachten die Seniorität als ein Lebensalter, das für jede einzelne Person zu ihrer eigenen Zeit startet. So würden wir sagen, dass sie frühestens mit dem 55. Lebensjahr und oft später beginnt. Einige Hochbegabte über 70 fühlen sich nicht wie Senioren. Dies hängt oft von der Gesundheit ab. Wenn sie Hilfe brauchen und von anderen Menschen abhängig sind, dann stellen sie fest, dass sie jetzt zu den Senioren gehören. In unserem Buch beschreiben wir die Lebensphasen eines hochbegabten Lebens, über die Ellen Fiedler geschrieben hat, und die auf den Phasen von Erik Erikson basieren.

4.         Was sind die spezifischen Herausforderungen für diese Gruppe von Menschen?

Senioren im Allgemeinen müssen sich an ein Leben gewöhnen

-          ohne bezahlte Arbeit (die für Struktur sorgt, für finanzielle Sicherheit, gebrauch zu werden)

-          bei dem körperliche Beschwerden und Einschränkungen auftreten können

-          in dem sie Menschen um sich herum verlieren

-          in dem sie von anderen abhängig werden

-          etc.

5.         Was geschieht nun mit hochbegabten Senioren, die nicht von ihrer Hochbegabung wissen?

Wir beobachten Frustration darüber, sich selbst nicht zu kennen.

Negative Effekte können Niedergeschlagenheit, Gefühle der Wertlosigkeit, Isolation oder kein Interesse andere Personen zu sehen sein. Oft sitzen sie beispielweise alleine in Alten- oder Pflegeheimen.

Manchmal sehen wir extreme Verhaltensweisen, die zu Konflikten führen können. Zuweilen versuchen sie, ihre Autonomie zu wahren. Wenn ihnen dies nicht so gelingt wie sie es sich vorstellen, kann dies auch zu Unsicherheit führen kann.

Zudem benötigen hochbegabte Senioren manchmal psychiatrische Behandlungen wie Antidepressiva oder Medikamente, um sie ruhig zu halten. Hier ist die Frage, ob dies gut oder schädlich für sie ist.

6.         Wie zeigt sich Demenz bei hochbegabten Personen?

Dies ist eine komplexe Kombination. Demenz wird oft in einem frühen Stadium nicht erkannt, weil eine intelligente Person Defizite kompensieren und einige Tests manipulieren kann. Die Diagnose zu kennen ist sehr wichtig, um die betreffende Person und die Menschen um sie herum besser zu begleiten und zu beraten. Insbesondere auch bei rechtlichen Angelegenheiten oder Gerichtsverfahren, wenn ein Anwalt davon ausgeht, dass sie oder er immer noch wichtige Entscheidungen treffen kann, obwohl dies nicht der Fall ist.

Der Fachmann, der die Diagnose stellt, sollte sich dessen bewusst sein. Das Begleiten und Beraten von Hochbegabten mit Demenz ist eine Herausforderung. Obwohl Demenz die kognitiven Fähigkeiten beeinflusst (jedoch auf unterschiedliche Weise bei jeder Person) ist die Person immer noch eine hochbegabte Person und dies ist für die Art und Weise der Kommunikation wichtig. Für eine lange Zeit kann es vorkommen, dass die hochbegabte Person mit Demenz noch viele zusammenhängende Dinge erzählen kann. In späteren Stadien wird auch die Persönlichkeit betroffen sein.

Partner von Hochbegabten mit Demenz benötigen möglicherweise zusätzliche Beratung, die die Begabung berücksichtigt.

7.         Was müssen Pflegekräfte für ältere Menschen wissen?

In unserem Buch („Hoogbegaafde senioren“/“Hochbegabte Senioren“) haben wir eine Tabelle erstellt, die Betreuern hilft, Hochbegabung anhand der Merkmale von Hochbegabung zu erkennen. Aber wir zeigen auch, was mit diesen Eigenschaften passieren kann, wenn sie nicht im Gleichgewicht sind.

Das Wissen über die Hochbegabung kann helfen, die Bedürfnisse der Person herauszufinden und besser zu kommunizieren. So werden Pflegekräfte hochbegabte Personen hoffentlich auch dann verstehen, wenn sie sich schwierig verhalten.

Es ist wichtig herauszufinden, wie hochbegabte Senioren ein angenehmeres Leben führen können. Einige Beispiele: Freiwillige finden, die Bücher, Geschichten und Gedichte lesen (in verschiedenen Sprachen); Diskussionsgruppen zu Themen, die sie interessieren; Museen besuchen; Vorträge über Wissenschaft und Kunst; Dokumentarfilme zeigen. Aber es ist wichtig nicht nur diese Dinge anbieten, sondern auch ihre Bedürfnisse herausfinden.

8.         Was sind Vorteile von mehr Aufmerksamkeit für hochbegabte Senioren?

Positive Auswirkungen von mehr Aufmerksamkeit für hochbegabte Senioren wird Folgendes sein: ein positiveres Selbstbild, ein verbessertes Wohlbefinden und hoffentlich eine verbesserte Gesundheit (weniger Medikamente, weniger medizinische Versorgung). Einige hochbegabte Senioren könnten noch Beiträge zur Gesellschaft leisten.